Tote sind tot, weil sie gestorben sind. Ganz einfach.
Mitte 2006 ereignete sich etwas bei World Wrestling Entertainment, das die Wrestlingforen dieser Welt spaltete. Nach einem sehr erfolgreichen „ECW One Night Stand“ Pay Per View im Vorjahr verstand Vince McMahon plötzlich, dass es den Zauber der ECW immer noch gab. Damals mietete er den Hammerstein Ballroom, verpflichtete einige abgehalfterte Ehemalige der extremen Liga und bezahlte die meisten mit einer warmen Mahlzeit. Was herauskam, war ein Feuerwerk der Nostalgie, hysterischer Fans und der beste Pay Per View seiner Zeit. „One Night Stand“ erhielt einen zweiten Auftritt und - schwupps - befinden wir uns am besagten Zeitpunkt in der Mitte des Jahres 2006.
Dieses Mal war allerdings alles ein wenig anders als die Vorjahre, denn hinter den Kulissen brachte man nicht nur ehemalige ECW-Stars zusammen, sondern vereinte aktuelle WWE-Stars mit ECW-Stars. Und letztere Kategorie spaltete sich noch einmal auf die Kategorien „Ich bin nur für einen Abend hier, weil ich das Angebot der WWE ausgeschlagen habe“ und „Ich bleibe“. Denn hinter den Kulissen stand bereits in Stein gemeißelt, dass der zweite One Night Stand bloß das Eröffnungsfeuerwerk für die Wiederauferstehung von Extreme Championship Wrestling sein würde. McMahon trotze allen Kritikern und eröffnete seinen dritten Brand. Wie gesagt: Diese Nachricht spaltete die Wrestling-Gemeinde. Manche waren voller Euphorie, andere sahen das Unheil bereits kommen.
Viel spannender als die ursprüngliche Nachricht zur Rückkehr der ECW war damals allerdings, die Entwicklungen vom Gerücht bis zur Ausstrahlung der ersten Show zu verfolgen. Ein großer Meilenstein dieser Etappe war der Zeitpunkt, an dem man in SciFi einen Sender fand, der das neue Format ausstrahlen sollte. SciFi war ein Sender, auf dem ausschließlich Science Fiction Sendungen ausgestrahlt wurden - mit Wrestling hatte man hier nicht viel am Hut. So wunderte es dann auch nicht, dass WWE die Auflage bekam, ein bißchen Mystik in die ECW Shows zu bringen, damit man seiner Zielgruppe der Science Fiction Fans das neue Produkt auch irgendwie schmackhaft machen konnte. Oh ja, besonders diese Nachricht rockte das Internet wie keine Zweite. Noch genau kann ich mich erinnern, wie die ersten Fans Angst hatten, der Sandman müsse sich bald Marsianern im Ring stellen.
Schließlich war es soweit und „One Night Stand II“ flimmerte über die Bildschirme. Kurt Angle traf auf Randy Orton und im Main Event sollte John Cena seinen WWE Title verteidigen. Wie viel ECW dieser PPV war dürfte also an diesen zwei sehr treffenden Beispielen klar sein. Im besagten Main Event, gelang es „Mr. Monday Night“ Rob Van Dam tatsächlich, John Cena dessen WWE Title abzunehmen und Paul Heyman nutzte die Gunst der Stunde, um ihn damit auch gleich zur Leitfigur des neuen ECW Brands zu präsentiert. Optisch untermalt wurde dieses Vorhaben dadurch, dass man RVD neben dem WWE Spinner Belt auch eine billige Replica Version des alten ECW World Titles verpasste. ECW hatte nun also einen Sender, es hatte ein Roster und es hatte einen Champion. Die Vorzeichen waren gesetzt, die erste Show konnte kommen. Einzig und allein die Angst um diese Sache mit The Sandman und den Marsianern trübte die Vorfreude auf das große Comeback der verstorbenen Liga noch nach dem tollen „One Night Stand II“.
Der Tag war gekommen und Backstage machte sich Nervosität breit. Verantwortlich für das Booking der ECW Shows zeichneten sich Paul Heyman und Tommy Dreamer. Natürlich nur mit Fußfesseln in Form von Vince McMahon und dem Wunsch des Senders, ein wenig Space’n’Horror in die Shows zu bringen. Der Main Event der Show sollte eine Battle Royal sein, nach extremen Regeln natürlich, in der zehn der größten ECW Stars antraten, um ein Match gegen John Cena zu gewinnen. Gegen so eine behämmerte Vorgabe konnten selbst Heyman und Dreamer nicht gegen anbooken. Aber noch befanden wir uns vor der Show, die am selben Abend aufgezeichnet wurde, an dem auch eine Ausgabe von Monday Night RAW samt Heat aufgezeichnet wurden. An dieser Stelle kommen wir nun endlich zu dem Punkt, auf den ich seit mehreren Absätzen hinarbeite – den Punkt, an dem ECW weird wurde, weit bevor es der Fan wirklich zu sehen bekam. Backstage versammelten sich die beiden Booker. Tommy Dreamer und Paul Heyman hatten vor, den Sandman das Eröffnungsmatch der ersten wöchentlichen ECW Show bestreiten zu lassen. Und jetzt kommt’s: Der erste Gegner, den der Sandman mit dem Singapore Cane vertrimmen sollte war… ein Marsianer.
Kein Witz.
World Wrestling Entertainment wollte die erste Ausgabe von ECW on SciFi mit einem Match zwischen dem Sandman und einem Marsmenschen beginnen. Kurz vor Beginn der Show konnten die beiden Booker den Marsmenschen aber blöder Weise nicht finden – wie vom Erdboden verschluckt. Hallo… das war schließlich ein Marsmensch! Ein Ersatz musste her. Ein zweites Marsmann-Kostüm hatten die beiden nicht und so ergab es sich, dass man sich von der Idee eines Sandman/Marsmann-Fights verabschieden musste. Paul Heyman kam also die Idee, einen Zombie als Ersatz zu nehmen. Tommy gefiel die Idee – die zwei schauten sich um und ein paar Schritte von ihnen entfernt stand ein junger Mann namens Timothy Roberts. Er war ein armes Huhn, weil er eigentlich nur dort stand, um bei Heat den Job für Matt Striker zu machen. Tommy und Paul musterten den jungen Mann, sahen sich an und nickten. „Hey, show me the Zombie“, brüllte Heyman zum jungen Tim herüber. Dieser fackelte nicht lange, streckte seine Arme nach vorne, verzog das Gesicht und stolperte unterlegt von ein paar Stöhngeräuschen ein paar Schritte in Richtung des ECW Booking Teams. Heyman war begeistert, gab Roberts noch ein paar Tipps und wenige Minuten später saß er in der Maske, wurde geschminkt und bekam seine Jeans zerschnitten.
Ein Assistent bekam den Auftrag, Dreck von draußen zu holen, den man dann in Roberts‘ Klamotten steckte. Timothy Roberts war nun „The Zombie“ und wurde dem Chairman zum letzten Check-Up vorgeführt. Er betrat das Büro von Vince McMahon. Dieser forderte Roberts auf, seinen Charakter zu spielen und erntete dafür ein „That’s F’n brilliant“ vom Chairman.
Für Tim Roberts war dies vermutlich einer der größten Momente in seiner bisherigen Karriere. Wenige Momente später durfte er der erste Mann sein, der die Halle durch das neue ECW Set betrat und wurde vom Singapore Cane mehrere Male sehr hart getroffen. „That’s f’n brilliant“ war der Kommentar des Mannes, der die Idee hatte, nicht nur einen Untoten seine Show eröffnen zu lassen, sondern die Show an sich zu einem Untoten werden zu lassen. Unterm Strich zählte der Auftritt des Zombies zum Unterhaltsamsten was man an diesem Abend geboten bekam und die Debutshow der neuen ECW zeigte das, was man in den kommenden Wochen und Monaten mit ECW vor hatte. In einer Welt, in der RAW die A-Show und Smackdown die B-Show war, war also nur noch Platz für eine C-Shows und dazu wurde ECW nicht, nein, das war ECW von diesem ersten Tag an.
Nichts unterstreicht das Scheitern der WWE’schen ECW mehr, als diese Anekdote rund um den Zombie. ECW starb, als Paul Heyman die Pforten schloss und war bereits tot, als Vince McMahon die Rechte am Material der Liga erworben hat. Mitte 2006 wurde die Wrestlingwelt nicht Zeuge einer Reinkarnation, sondern der Rückkehr einer toten Liga, ohne Blut, Schweiß und vor Allem ohne Seele. ECW on SciFi ist der eigentliche Untote in dieser Geschichte und Timothy Roberts ist nur die Metapher. Deshalb gebührt dieser Gimmickmüll-Eintrag auch nicht wirklich dem armen Tim, sondern dem, wofür sein Bildnis steht: Der Tatsache, dass Tote aus einem ganz bestimmten Grund tot sind – weil sie gestorben sind.
